Ernst Barlach wurde am 2. Januar 1870 in Norddeutschland in der kleinen Provinzstadt Wedel (Holstein) in der Familie eines Kreisarztes geboren. Ernst war der älteste von vier Söhnen der Familie und nicht der einzige Berufskünstler in der Barlachschen Familienchronik. Sein Vater starb früh und hinterließ eine recht große Familie fast ohne Mittel. Seine Liebe zur Kunst ließ Barlach viele Schwierigkeiten überwinden, um in die Kunst- und Industrieschule in Hamburg (1888-1891), dann in die Dresdner Kunstakademie (1891-1895) einzutreten.

Der angehende Bildhauer musste die Last der akademischen Berufsausbildung erfahren. Die deutsche Kunstschule ist nicht umsonst berühmt für die tägliche zermürbende Ausbildung. Besonders schwer hatte es Ernst in Hamburg. Hier verband er den Besuch der Bildhauerklasse mit der abendlichen Arbeit in der Werkstatt des Lehrers, des örtlichen Bildhauers Richard Tipe.

Doch auch später zögert Ernst nicht in der Frage nach seiner Berufung. Er setzt das Studium der Bildhauerei fort – zweimal reist er in den späten neunziger Jahren nach Paris (1895-96 und 1897). Barlachs erste Bekanntschaft mit Paris beeindruckte ihn allerdings nicht. „Außerdem“, schreibt Y. P. Markin, „nahm er die Natürlichkeit, den physiologischen Naturalismus des impressionistischen Naturgefühls, gegen den sich seine symbolistische Seele programmatisch auflehnte, scharf negativ wahr.

Barlach verbringt das Jahr 1896 hauptsächlich in Friedrichrod und hat sowohl kreative als auch finanzielle Probleme. Er wird von Karl Garbers gerettet, der ihm eine Stelle in Paris als Assistent im Auftrag des Hamburger Magistrats anbietet. Ein Jahr selbständigen Arbeitens in Paris macht den Künstler mit der europäischen Kunst und ihren Problemen vertraut, bestärkt ihn in dem Entschluss, seinen eigenen Weg in der Kunst zu suchen, doch versucht er 1898-1902 vergeblich, in Hamburg und Berlin Anerkennung zu finden.

Im Jahr 1902 vollendet Barlach den kuriosen Möller-Jarke-Grabstein (1902). Es handelt sich um ein komplexes, mehrteiliges Werk, das unter seinen früheren Arbeiten allein steht. „Der junge Bildhauer blieb bei der traditionellen Lösung des Gedenkens in Form einer architektonischen Stele stehen, die die Vortür der Krypta nachahmt, – schreibt Y. P. Markin, – vor der er traditionell die volumetrische Figur des Trauernden platzierte – eine Technik, die schon ein Jahrhundert zuvor bei Kanova zu finden war … Vielleicht zum ersten Mal zeichneten sich die ursprünglichen Züge seiner späteren reifen Handschrift so deutlich ab“.

Von Berlin aus kehrt Barlach nach sechs Jahren selbständiger Tätigkeit mit einem Gefühl der völligen Unzufriedenheit in seine Heimatstadt Wedel zurück. Der Bildhauer ist bereits über dreißig, und große Erfolge kann er noch nicht vorweisen.

Eine schwere Schaffenskrise im Jahr 1906 zwingt ihn schließlich zu einer zweimonatigen Reise in den Süden Russlands, wo der Bruder des Künstlers zu dieser Zeit arbeitet. Der Aufenthalt in Russland verschaffte ihm bedeutende künstlerische Erfahrungen, die sein gesamtes weiteres Schaffen bestimmten.

Die Kunsthistorikerin N. I. Poljakowa bewertet diesen Lebensabschnitt des Künstlers folgendermaßen: „Hier in Russland spürte Barlach in einem sichtbaren Bild, was seine Seele schon lange beunruhigte und seinen philosophisch veranlagten Geist beschäftigte – das Schicksal eines leidenden Menschen. In den Scharen der ruinierten Bauern, die von den Kulakenbesitzern auf die Weiten der russischen Straßen hinausgeworfen wurden, um um Almosen zu betteln, sah Barlach weniger eine soziale Tragödie als die Tragödie der menschlichen Existenz: das bittere Leben der Verlassenen und Ausgestoßenen. Der Mensch als ein Wesen mit doppelter Natur – grobstofflich, irdisch, und erhaben, geistig – erschien Barlach zum ersten Mal ohne alle Verschönerungen, Masken und den Glanz der europäischen Zivilisation, in der Gestalt eines russischen Bettlers, Bauern, Hirten. In ihnen sah er die ganze Tragik und Größe des Menschen in seiner ewigen Konfrontation zwischen Gut und Böse, zwischen rohem Animalismus und hohem Geist. So erhielt die philosophisch abstrakte Darstellung plötzlich eine seltene Konkretheit. In seine Heimat zurückgekehrt, fand der Künstler für sein neues Menschenbild nicht nur in Grafik und Skulptur, sondern auch in seinem ersten literarischen Drama „Der tote Tag“ eine der Ausdruckskraft der figurativen Sprache angemessene Form. Vielseitig begabt, zeigte er sich fortan sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur als innovativer Künstler, der in seiner Schaffensweise dem Expressionismus nahe steht“.

Die Reaktion auf Barlachs neue Art war schnell. „Alle waren nur von Barlachs zwei Terrakotten russischer Bettler überwältigt“, schrieb K. Shefler in einer Rezension der Frühjahrssecession 1907. – Ein starkes Talent … einem kleinen Kreis von Menschen bekannt. Es gab noch keinen Grund, über ihn zu sprechen, denn die Arbeit und das widersprüchliche Suchen allein erlaubten es ihm noch nicht, etwas Reifes zu schaffen. Diese Figuren zeigen die Erschütterung des Künstlers über sein Material, die menschliche Erfahrung, die zugleich in eine künstlerische Formerfahrung übersetzt wird. Auch die soziale Charakterisierung ist hier präsent.“ Unterstützt wurde Barlachs Arbeit auch von dem berühmten Bildhauer-Tiermaler A. Gaul.

Im selben Jahr 1907 wurden auf der Deutschen Nationalen Kunstausstellung in Düsseldorf „Bettler mit Becher“ und „Blinder Bettler“ gezeigt.

Später formuliert Barlach immer wieder figurative und kompositorische Techniken aus den Werken der Jahre 1906-1908 um: „Liegender Mann“ (1908) ist in „Ruhender Wanderer“ (1910) erkennbar, „Hockender Bettler“ (1907) – in „Ecstatulating“ (1920), „Sitzende Frau“ (1907) – in „Sitzende alte Frau“ (1933). Der in Russland gefundene weibliche Typus ist in einigen Kollektivbildern der späten zehnten bis dreißiger Jahre deutlich spürbar: in „Zitterndes Mädchen“ (1917), „Eingewickelte Bettlerin“ (1919), „Stepnjatschka“ (1921), „Weinende“ (1923), „Frierende alte Frau“ (1937), „Jahr 1937“ (1936).

Ein Aufenthalt in Italien (1909) vervollständigt seine berufliche Ausbildung als praktizierender Bildhauer, der mit den Tücken und Freuden seines schwierigen Handwerks bestens vertraut ist.

Ab 1910 lebte und arbeitete Barlach in Güstrow, wo sein Talent aufzublühen begann und wo er eine herbe Enttäuschung erlebte. „In Güstrow sind Holzplastiken großartig und Steinplastiken auch“, erklärte der Bildhauer einen der Gründe für seine Wahl.

Achtundzwanzig Jahre lang lebte Barlach in Gustrow, schrieb acht Dramen, zwei Romane, viele Prosaaufsätze und Essays, schuf mehr als hundertfünfzig Skulpturen, darunter drei seiner berühmten Denkmäler. In Gustrow zog es der Meister immer noch vor, seine freien Stunden in der Einsamkeit mit der Natur zu verbringen, die in ihrer lokalen Ausprägung selten mit seiner Gemütsverfassung harmonierte. Während dieser ganzen Zeit verließ der Künstler fast nie die Stadt. Nur von Jahr zu Jahr unternimmt Barlach Ausflüge in mittelalterliche Städte. So fährt Barlach 1924 nach Lübeck, Ratzeburg, Möln, 1925 – nach Frankfurt, Spessart, Nürnberg, und 1926 – nach Neumünster und wieder nach Lübeck.

In den zwanziger Jahren schafft Barlach seine berühmten Denkmäler: für Kiel (1921), Gustrow (1927) und Magdeburg (1929).

Das Kieler Denkmal, ein bronzener Engel mit Schwert, der auf einer besiegten Chimäre steht, symbolisiert den Sieg des Guten und der Vernunft über dunkle, niedere Kräfte.

Das Gjustrowski-Denkmal ist das ungewöhnlichste von allen“, schreibt O. Woronowa. – Im niedrigen und verdunkelten nördlichen Seitenschiff der Gjustrowski-Kathedrale, über dem durchbrochenen schmiedeeisernen Gitter, das einst das Taufbecken umgab, hängt die Figur eines Engels. Aus manchen Blickwinkeln scheint sie frei in der Luft zu schweben. Barlachs Engel ist horizontal aufgehängt – er erhebt sich nicht in den Himmel, sondern befindet sich in einem vogelähnlichen Schwebezustand. Und er begegnet dem Betrachter nicht im feierlichen Mittelschiff, was den pathetischen Charakter der Innenausstattung vervollständigt. Das spärliche Licht hebt aus der Düsternis die auf der Brust gekreuzten Arme hervor, ein Gesicht, das dem der antifaschistischen Künstlerin Käthe Kolwitz ähnelt, hängende Augenlider und ein leicht geschwollener Mundwinkel – nur noch eine Minute, und der Engel wird weinen“.

Dieses einzigartige Werk wird mit Kälte und Misstrauen aufgenommen. Der Faschismus erstarkte und konnte sich nicht mit dem humanistischen Kern von Barlachs Kunst versöhnen. Barlachs liebstes Kind war das Denkmal in Magdeburg. Der Meister selbst schrieb dazu: „Bevor ich auf das Magdeburger Denkmal zu sprechen komme, muss ich mir den Vorwurf machen, dass die übertriebene Vernunft und Sparsamkeit der künstlerischen Mittel die Gesamtwirkung schwächt. Die äußerlich ruhige Lösung mag entspannend wirken; die durch den Standort in der Kapelle bestimmte Architektonik des Denkmals ist verwirrend; die dreiteilige horizontale Aufwärtsbewegung, die durch die Linie der Arme und die Linie der Köpfe der unteren Halbfiguren angedeutet wird, widerspricht dem Ausdruck einer unauflöslichen Einheit, denn sie ist eher eine Verschmelzung von Gegensätzen. Die Plastik, die die Idee der untrennbaren Kameradschaft verkörpert, argumentiert mit der Idee von Untergang und Verderben – ein unzulässiges Durcheinander ungleicher innerer Zustände, in dem eine dramatische Spannung erzeugt wird, ohne auf den plastischen Ausdruck zu verzichten, und kann daher Menschen, die die Plastik nicht verstehen können, nicht zufriedenstellen. Ich bin mir bewußt, daß alle diese Punkte mir die Hoffnung auf eine positive Einstellung zu meinem Werk rauben. Aber die Angemessenheit darin ist immer noch rein äußerlich, weil sie von architektonischen Überlegungen diktiert wird, und die Spannung ist immer noch vorhanden.